Inhalt
Linguistik und Kulturwissenschaft lassen sich auf vielfältige Weise miteinander verbinden. Unter dem Stichwort ,kollektives Gedächtnis‘ soll gezeigt werden, wo Berührungspunkte, Schnittmengen und mögliche Felder der Kooperation liegen. Ein besonders ergiebiges Beispiel ist diesbezüglich die Entwicklung der deutsch-französischen und der deutsch-polnischen Beziehungen. Die hier bedeutsamen Sprach- und Bilddokumente verweisen auf vielfältige kulturspezifische Wissensbestände, auf mehr oder weniger weite Kontexte, die es – über die rein sprachlich-visuelle Oberfläche hinaus – mitzuverstehen gilt.
In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, wie sich die grenzübergreifende Versöhnung aus kultur- und medienlinguistischer Sicht erfassen lässt. Bei der realen und medialen Inszenierung von Versöhnungsgesten spielen die Emotionen eine besondere Rolle. Aus diesem Grund werden hier multimodale Texte (Schlagzeilen und Begleitbilder) analysiert, und es wird gefragt, mit welchen sprachlichen und visuellen Mitteln die Versöhnung im Rahmen unterschiedlicher Gedenktage in den deutsch-französischen und den deutsch-polnischen Beziehungen multimodal inszeniert wird. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse der Analyse kulturlinguistisch gedeutet.
Die kulturlinguistische Analyse von Wiederannäherungsprozessen lässt sich nicht nur anhand verbal-diskursiver Merkmale durchführen, sondern wird durch die Untersuchung des jeweiligen kollektiv-emotionalen Hintergrunds, vor dem sich die Sprachen der Annäherung entfalten, noch bereichert. Es gibt in der Tat eine nicht-verbale, aber durchaus performative Grammatik der Gefühle, die es – so die These des vorliegenden Beitrags – emotionologisch zu entschlüsseln gilt, um den Versuch zu unternehmen, die Effizienz bzw. Ineffizienz bestimmter Diskurse in Annäherungsphasen zu erklären. Das Beispiel des deutschlandfeindlichen Diskurses wird mit zwei Fällen erläutert: dem deutsch-polnischen Normalisierungs- und dem deutschfranzösischen Versöhnungsprozess. Ein weiteres Fallbeispiel zu den polnisch- ukrainischen Beziehungen dient dem Vergleich. Abschließend wird zur Abrundung der Reflexion die Bedeutung des Faktors Zeit für die emotional getragene Entwicklung von Annäherungsdiskursen unterstrichen.
Das kollektive Gedächtnis wird in mannigfaltigen Texten semiotischer Provenienz konstituiert, verfestigt und erinnert. Im vorliegenden Beitrag werden demnach Potenziale, Funktionalitäten und Erscheinungsformen von multimodalen Texten diskutiert, die zur Etablierung des kollektiven Gedächtnisses beitragen. Die Besprechung orientiert sich an multimodal ausgerichteten Textualitätsmerkmalen.
Entlehnungen – Erinnerungsorte – diskursive Ressource
Die Frage, was kollektives Gedächtnis ist und wie es mit linguistischen Mitteln erfasst werden kann, wird in dem vorliegenden Beitrag mittels einer Verbindung von Kontaktlinguistik und Erinnerungsforschung beantwortet. Dabei werden historisch-politisch aufgeladene lexikalische Entlehnungen aus dem Deutschen (sog. historische Germanismen) in dessen europäischen Nachbarsprachen (hier: Polnisch und Englisch) als verbale Erinnerungsorte betrachtet, die in der Nehmersprache einer mehr oder weniger ausgeprägten Re- und Dekontextualisierung unterliegen. Anhand von Anschluss, Blitzkrieg, Drang nach Osten, Endlösung und Kulturkampf wird gezeigt, wie deren Verwendungsmuster mit qualitativ orientierten, quantitativ fundierten diskursanalytischen Methoden erfasst werden können, wobei im Falle von Kulturkampf auch unterschiedliche Entlehnungspfade als Determinaten divergenter Verwendungsmuster in verschiedenen Nehmersprachen in den Blick genommen und die Verwendungsmuster in der deutschen Herkunftssprache als ,tertium comparationis‘ herangezogen werden.
Am Beispiel deutscher Grabinschriften
Den Ausgangspunkt des Beitrags bilden deutsche Grabmonumente des 19. und 20. Jahrhunderts aus dem Freistaat Sachsen, die vor dem Hintergrund des kollektiven Gedächtnisses untersucht werden. Im Fokus der Betrachtung stehen neben den sprachlichen auch bildliche Charakteristika. Die Untersuchungsprozedur hat ergeben, dass das kollektive Gedächtnis sich im Umgang mit der thanatologischen Lexik und der Darstellungsweise des Todes in Wort und Bild auf Grabsteinen von gefallenen Soldaten und in den Widmungsinschriften manifestiert.
Kulturonomastische Perspektive am Beispiel einer geteilten historischen Raumgemeinschaft
Im vorliegenden Beitrag wird dem kulturonomastischen Ansatz Rechnung getragen. Anhand eines bescheidenen Korpus von sakralbezogenen Onymen (Bezeichnungen von Kirchen und Friedhöfen) versucht die Autorin zu zeigen, wie eine historische Raumgemeinschaft, die sowohl ethnisch als auch konfessionsbezogen geteilt war, ihren – ebenso geteilten – sakralen Raum konstruiert hatte. Ist das untersuchte Wortgut auch bescheiden, mag die Analyse doch einige interessante Place-Making-bezogene Mechanismen ermittelt haben, wie die Tabuisierung einiger Phänomene oder Übertragung alter Bezeichnungen auf neuentstandene Objekte.
Michel Bréal, Romain Rolland und ihre Friedensbemühungen
„Wer darauf besteht, inmitten des Krieges den Frieden zwischen den Menschen zu verteidigen, der muß wissen, daß er seinen Glauben, seinen Namen, seine Ruhe, sein Ansehen und selbst seine Freundschaften aufs Spiel setzt.“ (Zweig 1921: 222)
Nationale Feindbilder sind zugleich Ursache und Folge politischer Krisen, sie drücken starke Vorbehalte aus und vertiefen sie, sie entspringen vereinfachenden, starren Seh- und Denkweisen und sorgen meist dafür, diese zu stabilisieren. Feststellungen dieser Art dürften in besonderem Maße auf die deutsch-französischen Beziehungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zutreffen. Die historischen Erfahrungen haben das Bild des jeweils anderen Landes nachhaltig geprägt, zum Teil auch für mythische Vorstellungen bis hin zum Erbfeindklischee gesorgt. Doch es gibt immer auch Versuche, solchen Mainstream-Tendenzen zu widerstehen und sich um alternative politische Einschätzungen zu bemühen. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden, und zwar vor allem am Beispiel zweier Protagonisten, Michel Bréal und Romain Rolland, die sich gegen den herrschenden Zeitgeist stellen und sich gerade in Zeiten großer Krisen für friedenspolitische Ziele einsetzen.